Essay – Verbindungskultur

Betrachtungen zur „Verbindungskultur“ von Altherren Präside Luigi Bellina, v/o Rosso

Es gibt selten eine vergleichbare Gruppierung, die über den gesamten Sprachraum hinweg so viel kulturelle Übereinstimmung zeigt, wie die der Studentenverbindungen. Der im Zusammenhang mit Firmenkultur bekannte Begriff „Corporate Identity“ wird hier, nicht erst in den letzten Jahrzehnten, als klassisches Beispiel gelebt.

Das mag einerseits an der weit zurück gehenden Tradition und Pflege der „Studentischen Kultur“ liegen, andererseits aber auch am Bedürfnis unter seinesgleichen sofort erkannt zu werden. Über die Farben, Zirkel und Wahlspruch im Speziellen, also der individuellen Verbindung – und im Allgemeinen- über die Tatsache dass als Couleurstudent Farben getragen werden und die Person als Mitglied einer Corporation erkannt wird. Der rege Austausch, die Kommunikation, das Bedürfnis nach einem Netzwerk von Akademikern hat vermutlich an der starken Verbreitung dieser weitgehend homogenen Strukturen beigetragen.

In diesen Zusammenhang muß man sich die ersten studentischen Vereinigungen an den frühen Universitäten, z.B. Bologna, Salerno, Prag, später Heidelberg, Freiburg, Tübingen sehen. Der Wunsch der „Landsmannschaften“ Vertrautes und Freundschaften zu pflegen, sich in der fremden Stadt gegenseitig zu unterstützen, war eine erste Motivation zu Zusammenschlüssen. Man hatte gemeinsame Freunde – aber auch Feinde, gegen die ein Einzelner nichts ausrichten konnte. So bot die Landsmannschaft auch Schutz. Über die Jahrhunderte haben Farbenstudenten eine eigene Kultur entwickelt, die geprägt ist von einer großen Gemeinsamkeit in Redewendungen und Ritualen, in der Art verwendeter Artefakte, in der Organisationsform und nicht zuletzt in den Leitbildern, in Zweck und Zielen der jeweiligen Verbindung, in der Daseinsbegründung.

Innerhalb dieser „Makrokultur“ subsummieren sich wiederum die Mikrokulturen jeder einzelnen Vereinigung in ihrer jeweils speziellen Ausprägung, den Wahlsprüchen, dem eigenen Wappen, den eigenen Farben, Redewendungen, Ehrenkodex, Hausgesetzen etc.

Zunächst ein Exkurs zur Begriffsbestimmung für Kultur: er kommt aus dem Lateinischen, cultivare und ist eigentlich als Überbegriff zu sehen, unter dem sich vieles subsummieren lässt. Die alten Römer benutzten es für pflanzen, hegen und pflegen, aber auch domestizieren, das heißt einer Wildform durch menschliche Eingriffe gewünschte Eigenschaften verleihen. Es steckt aber auch das Wort Cultus darin, also Gebräuche und Rituale, Glauben und Religion, was auf die geistigen Komponenten Bezug nimmt. Cultus ist immer auch sichtbar, wahrnehmbar – im Gegensatz dazu ist das „Okkulte“, verborgen, geheimnisvoll und unbekannt.

Kultur ist ein sehr vielschichtiges Phänomen, die vielen Facetten lassen sich aber in der jeweiligen Art des Auftretens und über die Gemeinsamkeiten auf höherer Ebene als ganzheitliche Erscheinungsform sehen. Vor allem ist Kultur immer an eine Gruppe gebunden, sie ist Ausdruck von Gemeinsamkeiten. Sie kann sich auf wenige Individuen begrenzen (Mikrokultur) oder auch ein ganzes Volk mit seinen Subkulturen umfassen (Makrokultur). Die wesentlichen, erkennbaren Bestandteile sind immer das Verbindende, das immer wieder gleich Auftretende.

Als erstes und wohl wichtigstes Element ist die Sprache zu sehen, sie ist das primäre Kommunikationsmedium und stellt die wichtigste kulturelle Verknüpfung zwischen den Menschen dar. Zur Sprache als solches gehört auch die Art und Weise wie die Sprache genutzt wird, bestimmte Ausdrücke, bestimmte Floskeln und Phrasen.

Die weiteren Bestandteile sind in der Regel gestalterischer Natur, es sind die sogenannten Artefakte, Symbole, die eine unmittelbare Assoziation und damit Wiedererkennung hervorrufen. Das können bei Völkern typische architektonische Leistungen sein, z. B. die Pyramiden für Ägypten, die Akropolis für Griechenland, typische Fachwerkhäuser für Deutschland, Iglus für Inuit, Tipis für nordamerikanische Indianer usw.

Die Art sich zu kleiden ist ein weiteres Merkmal, wobei sich das natürlich heutzutage immer mehr vermischt und verwässert. Blue Jeans sind zwar auch als kulturelle Leistung zu sehen, allerdings als global gleichmachend vereinheitlichende. Aber denken wir an all die Trachten in deutschen Regionen, an landestypische Kleidungsstücke, z.B. die diversen Tuniken in arabischen und nordafrikanischen Kulturen.

Religionen mit ihren Riten und Gebräuchen, mit ihren Glaubensgrundsätzen, mit ethischen und moralischen Vorgaben, mit immer wiederkehrenden im Jahresablauf fest verankerten Festen verlieren zwar heutzutage immer mehr an Bedeutung, aber sie waren und sind zum Teil schon seit Jahrtausenden kulturprägendes Element.
Das macht auch Sinn, denn der Mensch braucht Rituale, bekannte Umgebungen, das vereinfacht die Orientierung. Die Wiedererkennung gibt dem Einzelnen Sicherheit innerhalb der Gruppe, im weitesten Sinne ein Schwarmverhalten. Als Team lassen sich Ideen, Ideale gemeinsame Werte besser vertreten als es Einzelpersonen vermögen. Das menschliche Individuum braucht für eine stabile Entwicklung eine Gruppe, zunächst wird er in die kleinste Gruppe hineingeboren, in der Regel die Familie. Nach und nach erweitert sich dann der Kreis an Bezugspersonen und Gruppierungen.

In der Tierwelt z. B. bei Ameisen, erfolgt die gemeinsame Ausrichtung, Wiedererkennung und Akzeptanz der einzelnen Individuen über Duftmarken. Beim Menschen findet dies über die weit komplexere Variante der Kultur statt.

Das machen sich heutzutage auch Firmen zunutze, indem sie eine Firmenkultur gezielt aufbauen und pflegen. Es ist erwiesen, daß Identifikation und Motivation der Mitarbeiter in Firmen mit deutlich ausgeprägter Firmenkultur auffallend stärker ist, sie sind eher bereit am gemeinsamen Erfolg beizutragen. Diese Firmen pflegen ihre Traditionen zu Recht, denn das Überleben ist nur durch den Erfolg gesichert.

Das trifft natürlich auch auf Volksgruppen und – natürlich auch auf die Studentenverbindungen zu. Das Erstaunliche ist, daß im gesamten deutschen Sprachraum alle Studentenverbindungen gleiche kulturelle Elemente vorweisen. Die Sprache mit all ihren Elementen hat immer und überall einen Wiedererkennungscharakter. Ob es das „Fiduzit“ ist oder „dixit“, „gratias pro erhaltenes Verbum“ oder „Silentium“. Dem Lateinischen entlehnt aber in einer ganz bestimmten Situation eingesetzt.

Da ist zunächst das äussere Erscheinungsbild in Form von Mütze, Tönnchen, Band und Zipfel bis hin zum Chargenwichs, da sind auch Rituale und Gebräuche, Feste und Traditionen.

Und vor Allem bleibt festzuhalten, innerhalb dieser Kulturgruppe hat jede Verbindung nicht nur ihre eigenen Farben, nein auch ihre Eigenständigkeit in Form von eigenen Riten und Varianten der Verbindungskultur.

Da ist das jeweils eigene Netzwerk, mit den vielen Facetten und auf den verschiedensten Ebenen. Mit den jeweils eigenen sozialen Beziehungen. Das stärkt den Einzelnen und gibt ihm Sicherheit und Orientierung. Die Zugehörigkeit zu einem funktionierenden Netzwerk mindert den Druck durch gegenseitige Akzeptanz und Toleranz. Schwierigkeiten im Studium bekommen einen gemeinsamen Nenner und können leichter überwunden werden.

Die Mitgliedschaft in einer Verbindung ist eine gute Vorbereitung auf den Beruf mit seinen Hierarchien und ungeschriebenen Gesetzen. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle im Netzwerk „Alania“, teilweise auch spielerisch, bietet die Chance zu erhöhtem Problembewusstsein und zu Motivation. Die Übernahme von Führungsrollen in der Chargia gibt Gelegenheit, das eigene Verhalten und Entwicklungspotenziale zu reflektieren.

In diesem Spannungsraum möchten wir aktive Studenten für unsere Verbindung gewinnen. Die Auseinandersetzung mit dem Thema Kultur und Tradition wird es immer geben, wir stellen ein Spielfeld zur Verfügung, auf dem sich der Student auf die späteren Herausforderungen vorbereiten kann und in einer Firmenkultur zurechtfinden wird.

Die Situation wird er dann als bekannt empfinden und so schnell in das Berufsleben einsteigen können.

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